Wie individuell darf unser Glaube eigentlich sein? Wie sehr muss ich glauben, um mich als
Gläubiger bezeichnen zu dürfen? Und wann bin ich gläubig genug, um für andere ein Vorbild
im Glauben zu sein?
Am 13. Oktober sind die beiden Arbeitsbereiche Frankfurt Nord und Frankfurt Nordwärts
gemeinsam auf Mitarbeiterfahrt nach Taizé in Frankreich gefahren. Taizé ist eine kleine
Gemeinde von ca. 195 Einwohnern, die durch ihre Gemeinschaft bekannt wurde. Zur
Communauté von Taizé gehören heute rund achtzig Brüder aus verschiedener kirchlicher
Herkunft. Über das ganze Jahr hinweg empfangen sie Zehntausende junger Menschen aus
der ganzen Welt. Sie sollen bei dem Orden zu Gast sein, die täglichen Gebete miterleben, ins
Gespräch kommen und an der Gemeinschaft teilhaben.
Als diesjährige Fahrt für die ehrenamtlichen Mitarbeiter der beiden Arbeitsbereiche war
genau diese Erfahrung unser Ziel.
Unsere Reise startete am Montagmorgen mit zwei Kleinbussen und vielen Stunden Musik mit
mehr oder weniger starkem Geschmack. Einmal angekommen wurden wir auf unsere
Baracken aufgeteilt und es wurde schnell festgestellt, dass die Zimmer den gewünschten
Effekt haben: Die freie Zeit wird draußen verbracht. Die Zimmer bestanden ausschließlich aus
zwei, vier oder sechs Stockbetten und waren dadurch lediglich zum Aufenthalt während der
Nacht vorgesehen. Unsere erste Teilnahme an der Gemeinschaft war das Gebet am Abend.
Die Gottesdienste finden in einer riesigen Kirchenhalle statt, die mit Teppichboden ausgelegt
ist, um direkt auf dem Boden zu knien oder zu sitzen. Die Gäste sitzen teilweise links und rechts
um das vordere Mittelschiff, hauptsächlich aber dahinter. Im Mittelschiff selbst haben die
Brüder ihre Plätze. Der Blick ist auf den modern gestalteten Altarraum gerichtet, der sich
durch seine abstrakten bunten Farben und seine Kerzen auszeichnet.
Das Bild des Altarraumes aus Taizé kennen viele. Allgemein kennen viele Erwachsene und
Jugendliche Geschichten oder Berichte aus Taizé. Es wird erzählt von intensiven
Glaubenserfahrungen und Gedanken, die man während seiner Zeit dort erleben soll. Doch
kann so etwas einen nicht auch unter Druck setzen? Bin ich weniger gläubig als die Person,
die im Gottesdienst neben mir sitzt, weil sie vielleicht eine intensivere Glaubenserfahrung
macht als ich?
Bei jedem Gottesdienst gibt es sieben Minuten, in denen geschwiegen wird, um seinen
persönlichen Gedanken nachzugehen und sie in einem Gebet zu formulieren, wenn man dies
möchte. Aber sieben Minuten sind lang und was ist eigentlich, wenn mir nach zwei Minuten
nichts mehr einfällt?
Ein typischer Tag in Taizé startet mit dem Morgengebet und dem anschließenden Frühstück.
Nach dem Frühstück gibt es für die Älteren Dienste, die sie erledigen sollen. Gestartet wird mit
einem gemeinsamen Lied -für die einen mehr, für die anderen weniger peinlich und dann
wird mit den neu Kennengelernten mehr oder weniger sinnvolle Arbeit erledigt -vom Fenster
putzen, die danach eher schmutziger als davor waren, bis zum Blätter Fegen, Türen
desinfizieren, Steine rechen und Besen sortieren.
Wenn die zugeteilten Arbeiten erledigt sind, haben wir uns in unserer Gruppe einen Platz
gesucht und bis zum Mittagsgottesdienst gesungen. Am ersten Tag waren wir noch unter uns,
in den darauffolgenden Tagen sind immer mehr neue Leute dazugekommen. Ich habe im
Anschluss an unser Singen mit einer Frau aus Dänemark gesprochen, die am dritten Tag
dazugekommen ist. Sie meinte, dass sie, als sie uns gehört hat, gerne Teil unserer
Gemeinschaft sein wollte und sie es schön fand, wie wir jeden Tag zusammensaßen und nach
außen hin so vertraut ausgesehen haben, ohne ausladend zu wirken.
Am gleichen Abend haben wir angefangen, Ejw-typische Tanzspiele zu spielen. Und anstatt,
dass es von außen belächelt wurde, haben immer mehr neue Leute mitgemacht.
Irgendwann ist es dazu übergegangen, dass wir alle Paar-Line-Dance gelernt haben und
dabei mehr oder weniger talentiert ausgesehen haben. Aber wenn alle mitmachen, ist es
plötzlich nicht mehr peinlich, sich zum Affen zu machen.
Für mich hat sich in dem Moment der Blick auf Taizé verändert. Jeder sammelt in Taizé seine
eigenen Erfahrungen. Wenn man hört, dass einen ein Ort verändert oder einen weiterbringt,
dann beschäftigt man sich mehr damit zu fragen, wann bei einem selbst die große Wendung
kommt, als es einfach zu erleben. Ich habe gemerkt, dass für mich in Taizé die Gemeinschaft
das ist, was mich berührt.
Wie gläubig muss ich sein, um für andere ein Vorbild im Glauben zu sein? Ich finde, um ein
Vorbild im Glauben zu sein, muss man zeigen, dass man zweifeln kann und das auch darf,
dass man in einigen Gesprächen antworten findet und nach anderen nur noch mehr zweifelt
und dass das einzig Wichtige ist, dass man sich mit seinen Fragen beschäftigt. Wenn man
dann auch noch seine Zweifel zugeben kann, was gibt es dann für ein besseres Vorbild?
Im Laufe der Zeit in Taizé gewöhnt man sich an die Tagesabläufe und ungeschriebenen
Verhaltensregeln. Die sieben Minuten Schweigen in den Gottesdiensten fühlen sich nach
einiger Zeit auch immer mehr an wie sieben Minuten und nicht wie eine Ewigkeit. Und wenn
man nach zwei Minuten einfach alles gesagt und gedacht hat, dann ist es für einen selbst
plötzlich nicht mehr schlimm, sondern man genießt die Ruhe und die Gemeinschaft. Die
typischen und oft bekannten Taizé-Gesänge untermalen die Stimmung, in die man, wenn
man es zulässt, schnell in den Gottesdiensten kommt. Durch die geringen Ansprüche, durch
die sich immer wieder wiederholenden Strophen, können sich alle beteiligen und es entsteht
eine fast schon meditative Stimmung.
Taizé hat mir gezeigt, dass man seine Erfahrungen im Glauben auch in der Gemeinschaft
finden kann und der Glaube sich nicht dadurch auszeichnet, ob der Nachbar links oder
rechts mehr oder einfach nur anders glaubt als ich. Man kann seinen Glauben spüren,
während man mit anderen im Garten der Stille spazieren geht, während man singt, wenn sich
jemand traut, auf dich zuzugehen und dich anzusprechen, wenn man mit anderen spricht,
wenn man mit Fremden plötzlich nach eigener Definition peinlich tanzen kann und wenn
man andere durch die Art und Weise wie man sich in Gemeinschaft verhält, inspiriert.
Was für ein schönes Gefühl, Teil einer Gemeinschaft wie der des Ejws sein zu dürfen – einer
Gemeinschaft, an der andere Menschen teilhaben möchten, die nach außen hin vertraut
und einladend wirkt.
-Kathi